Km 5301 - Km 5409_Duragan - Bafra
Heute erwartet uns ein anstrengender Tag. Da wir uns für die Strasse in Richtung Alaçam entschieden haben, stehen wir schon nach kurzer Zeit vor einem Schild, das uns verspricht, dass die Steigung während der nächsten zehn Kilometer bei konstanten zehn Prozent sein wird. Oh je. Heute ist das erste Mal, dass sich beide Pédaleurs hin und wieder fragen, warum sie die Reise unmotorisiert angegangen sind.
Wir schieben den ganzen Tag. Schlussendlich legen wir an diesem Tag innert dreizehn Stunden knappe vierzig Kilometer zurück. Aber nochmal zum Anfang.
Nachdem wir bereits vier Stunden am Schieben sind, erreichen wir endlich das Dorf Cerciler. Market und Restaurant Fehlanzeige. Wir kochen selber. Glücklicherweise hat uns ein lieber Autofahrer eine Flasche voll Wasser geschenkt. Die eignet sich super für die Spaghetti. Zwar schieben wir heute ab und zu an einem Brunnen vorbei, aber was da raus kommt, dafür sind unsere Mägen noch nicht bereit. Heute kommen somit auch die ersten Chlortabletten zum Einsatz. Beim Mittagessen werden wir besucht. Was sonst. Ein älterer Mann klärt als erstes wieder die Frage, wie denn der Beziehungsstatus so ist. Irgendwie wollen alle die Frau, die hier als einzige (noch) kein Kopftuch trägt, ergattern. Eher unangenehm die Sache. Wir brechen unsere Pause so etwas frühzeitig ab und schieben weiter.
Wir kommen in eine verlassene Gegend. Hier ist nichts. Weite Felder, Berge, Hügel, Grünflächen und sonst nichts. Meint man. Mittlerweilen wissen wir es ja besser. Tipp für die Türkei: Stell dich irgendwo hin und schaue während zwei Minuten in die Ferne. Du wirst mindestens fünf Personen ausmachen. Überall ist jemand. Ein Hirte, ein Bauer oder eine Frau, die im Schatten sitzen.
Die Gegend ist so abgelegen, dass sich hier wohl noch nicht so viele Fremde hin verirrt haben. Die Stimmung schlägt schlagartig um. Nachdem wir nun die letzten Wochen immer mit einem Lachen und einem herzlichen "merhaba" begrüsst wurden, ist hier Stille. Die paar Menschen die wir sehen, drehen sich weg. Grüsse werden nicht erwidert. Unsere Gegenüber empfinden etwas, was irgendwo zwischen Erschrecken, Furcht und Unwissenheit liegen muss. Wir fühlen uns nicht mehr wohl. Cynthia zieht mal sicherheitshalber das Kopftuch über. Die Blicke sind nun immer noch streng, aber nicht mehr ganz so unangenehm. Wenn wir geschoben kommen, beobachten wir teilweise Menschen, die sich verstecken. Oder sie rufen ihre Kinder zurück. Oder sie schauen weg. Sehr unangenehm.
Es ist hier so wunder, wunderschön. Erinnert an den Wilden Westen. Oder an die Rigi. Irgendetwas dazwischen. Doch uns ist nicht mehr wohl und wir sind müde. Kein Schlafplatz in Sicht. Wir wissen, wir werden beobachtet. Wo sollen wir hin? Überall entdecken wir Menschen, die sich in Sichtweite aufhalten. Kinder, die hinter uns herschleichen. Wir entscheiden uns für den Gegenangriff und stellen unser Zelt mitten auf eine Kuppe. Jeder kann uns hier sehen. Jeder hat die Fremden im Blick. Auch eine Art von Sicherheit. Wir schlafen gut. Der erwartete Besucher trifft nicht ein.
Früh am Morgen verschwinden wir. Wir packen unsere sieben Sachen und machen uns auf den Weg. Wieder entdecken wir Menschen. Wo kommen die her? Keine Ahnung.
Nach einigen Kilometern erreichen wir endlich den Pass auf 1'440 Meter Höhe. Wir haben es geschafft. Die Nordseite des Berges liegt hinter uns. Kaum über der Kuppel, schlägt die Stimmung wieder schlagartig um. Vorbeifahrende Autos hupen. Die Fahrer winken. Bauern heissen uns herzlich willkommen und grüssen. Komisch. Wir hatten in der Türkei so viele schöne Erlebnisse. Nur diese vierzig Kilometer waren unschön. Aber nun liegen sie ja hinter uns und wir geniessen die rasante Talfahrt in Richtung Alaçam.
Unten angekommen spricht uns der erste Herr auf Deutsch an. Wenige Kilometer später plaudern zwei Frauen auf Englisch mit uns. Wir fühlen uns wieder wohl. Und herzlich willkommen.
In Alaçam kommen wir übrigens auch endlich dazu, die Postkarten abzuschicken. Wir fahren heute noch bis nach Bafra und checken in einem der zwei Hotels dieser Stadt ein. Schön, wieder einmal zu duschen. Und zu waschen. Und zu relaxen. Hier hat es eine Klimaanlage. Es könnte nicht besser sein.