Km 6256 - Km 6323_Kutaissi - Chiatura
Für die nächsten Tage haben wir uns vorgenommen, die heiligen Säulen in der Nähe von Chiatura anzuschauen. Hier lebt ein Mann - weit oben auf einem Felsen - ganz alleine in seinem Kloster. Um ihn zu besuchen, muss man vierzig Meter auf einer ungesicherten Leiter zurücklegen. Das wollen wir sehen.
Am Morgen wollen wir früh raus. Also. Am Morgen wollten wir früh raus. Da das Hostel nur ein Badezimmer hat - und wir das System mit de schnäller isch de gschwinder nicht ganz präsent hatten - mussten wir bis fast zehn Uhr warten, bis dann unsere heutige Tour starten konnte. Wiederum führt uns die Strasse - genau wie gestern - in Richtung Gelati. Heute aber mit Gepäck. Mit Ach und Krach schieben wir unsere Räder bis nach oben. Hin und wieder entdecken wir ein Auto, das unser heutiger Verfolger sein könnte. Ein Polizist in Zivilauto spricht uns auch an und erkundigt sich nach unserer Tagesetappe. Sehen tun wir ihn anschliessend nicht mehr. Von Gelati aus führt uns die Strasse nach Naboslevi. Der Weg ist fantastisch. Zwar geht es öfters den Berg hoch und wieder runter, doch die Aussicht auf die Berge - der grosse Kaukasus ist zu erkennen - ist atemberaubend.
In einem Dörfchen - wir glauben, es könnte Naboslevi gewesen sein - gönnen wir uns kühle Getränke. Gerade als wir losfahren wollen, bringt uns ein Junge zwei Eiscreme. Diese wurden vom örtlichen Priester für uns ausgegeben. Wir freuen uns riesig. Der Priester lädt uns nach dem Verzehr noch auf einen Wodka ein. Die Einladung lehnen wir dankend ab. Es ist ja noch früh. Sowieso sind die Georgier unglaublich gastfreundlich. Vorbeifahrende Autos hupen, die Mitfahrer winken und an den Strassen stehen Kinder, die sich freuen, uns zu sehen.
Kurz vor Khresili empfängt uns ein Strassenschild, auf dem wir um Verzeihung gebeten werden, dass die Strasse sich in schlechtem Zustand befindet. Aha. Und just in dem Moment ist der Asphalt weg. Dickes Geröll macht nun die Strasse aus. Steine, so gross wie Pingpongbälle liegen lose auf dem Weg. Die Steigung beträgt gute zehn Prozent und wir schieben und ächzen und stöhnen. Ewig lange. Wir entwickeln sogar eine neue Schiebemethode. Zu zweit schieben wir jeweils ein Rad bis zur nächsten Kurve. Dann spazieren wir ausser Atem wieder nach unten und schieben das zweite Rad den Berg hoch. Öfters halten Autofahrer und bieten uns ihre Hilfe an. Sie wollen uns mitnehmen. Aber das lässt unser Kopf natürlich nicht zu. Nach einigen Kilometern wird die Strasse wieder besser und wir können wieder alleine schieben, anschliessend sogar wieder fahren.
Gerne würden wir heute wieder einmal Wild übernachten. Aber die Gegend lässt es nicht zu. Zwar hat es wenige Weiler, aber die Hänge sind sehr abschüssig. Als wir gegen Abend am Tkibuli Reservoir ankommen, bemerken wir, dass die ganze Grünfläche sumpfig ist. So beschliessen wir, uns im einzigen Hotel von Tkibuli einzuquartieren. Was für ein Anblick. Dieses Hotel. Unglaublich. Mike wagt zuerst den Eintritt. Er wird von einem Mann empfangen. Ein Fernsehteam, das gerade vor Ort ist, hilft bei der Übersetzung. Nur noch die Suite ist frei. Für 50 Lari. Draussen besprechen wir uns. Ganz schön teuer für georgische Verhältnisse. Das findet auch die Fernsehdame. Sie bietet uns an, dass wir uns bei ihr im Zimmer waschen und anschliessend weiter fahren. Wir sind aber müde und auf diese paar Lari wird es ja schlussendlich nicht ankommen. Also geht Cynthia nochmal rein und lässt sich auch das Zimmer zeigen. Auf die Frage hin, was denn das Zimmer nun genau kostet - dummstellen kann sich lohnen - murmelt der Mann etwas vor sich hin. Auf Cynthias Antwort "Ah, 20 Lari?" lenkt der Mann mit "no, no 30 Lari" ein. Wir sind zufrieden. Völlig geschafft vom heutigen Tag bringen wir das gesamte Gepäck nach oben. Das Zimmer - also die Suite - ist ein richtiges Drecksloch. Die zwei auseinanderstehenden Betten müssen wir selber beziehen, der Balkon steht unter akuter Absturzgefahr, die Balkontüre hat einen Türgriff verloren, die Fenster sind mit Klebeband am Rahmen befestigt, das Badezimmer ist auf dem Gang und besteht aus zwei Plumpsklos und drei Waschbecken. Warmes Wasser gibt es nicht. Genauso wenig wie eine Dusche oder ein Fernseher, oder Internet. Ach so eine Suite ist doch was Schönes.
Tkibuli ist ein lustiger Ort. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Irgendwann in den fünfziger Jahren. Es hat viele freistehende Gebäude, noch viel mehr baufällige Gebäude und ab und zu fürchtet man, dass mal wieder ein Balkon vom Himmel fällt. In den Strassen hat es so grosse Löcher, dass ganze Wasserquellen hervorsprudeln. Um das Grass auf den Verkehrsinseln kümmern sich die Kühe. Die sind sowieso überall. Schon den ganzen Tag sind wir um die Kühe und Schweine auf der Strasse herumgekurvt. Das ist hier ganz normal. Ganze Kuhherden mitten auf der Strasse. Weiden am Strassenrand oder eben auf der Verkehrsinsel. Zwischendurch ein Schwein, ein paar Gänse oder auch mal ein Schaf. Die Bushäuschen dienen als Kuhstall.
Wir gehen also noch einmal einkaufen, denn wir haben Hunger und ein Restaurant gibt es nicht. Wir kaufen Speck, Eier - die werden hier in Plastiksäckli verkauft - und ein paar Zwiebeln und Joghurt fürs Dessert. Um das alles zusammen zu bekommen haben wir drei Läden abgeklappert. Es hat halt was es hat. Die restlichen Zutaten für feine Spaghetti haben wir noch dabei. So kocht Cynthia auf dem Balkon das Abendessen. Wir gehen früh schlafen und haben eine einigermassen erholsame Nacht.
Berg hoch, Berg runter, Berg hoch, Berg runter. Wir fahren von Tkiburi über Bizauri nach Gogni. Weiter nach Zeda Alisubani und Skande. Dass wir überhaupt Tuzi erreichen könnten, daran haben wir nicht geglaubt. Den ganzen Tag verbringen wir eigentlich nur mit Schieben und Keuchen. Wieder haben wir vor, Wild zu Campen. Aber auch heute ist das gar nicht so einfach. Und es ist auch noch viel zu früh. Wir fahren weiter, denn die Heilige Säule ist nicht mehr weit. Gegen Abend erreichen wir das Dörflein Katskhi. Wir werden von einer Dame in ihren Laden gewunken. Nach einer kühlen Cola und einem kleinen Schwatz wollen wir weiterfahren. Ein junger Herr hält uns zurück. Wir sollen ein paar Minuten warten. Wenige Augenblicke später taucht er wieder auf. Mit einem Packet frischer Kekse und zwei Snickers. Soo lieb. Wir freuen uns riesig. Frisch gestärkt machen wir uns an die Abfahrt zur heiligen Säule. Die Abfahrt ist so rasant und steil, dass wir direkt unsere Routenpläne ändern. Eigentlich wollten wir nämlich das kleine Stück zurück fahren und dann die Strasse nach Zestaponi nehmen. Aber nein danke. Diesen Aufstieg tun wir uns nicht an. Gegen sieben Uhr abends erreichen wir die Heilige Säule. Man sieht sie nur von weitem. Egal. Wir haben es geschafft und das zählt. Wir müssen uns sputen, denn noch vor Sonnenuntergang sollten wir im Hotel sein. Uns erwarten noch ein kleiner Aufstieg und dann eine uuuunglaublich megasteile und megalange Abfahrt nach Chiatura.
Chiatura liegt in einem Loch. Umgeben von Bergen. Als erstes fahren wir an meterhohen eisernen Soldatenstatuen vorbei. Mächtig. Wie man sich das halt aus der Zeit der Sowjetunion so vorstellt. Die Farben an den Häusern sind vor langer Zeit verblichen. Gemäss Prospekt wir Chiatura so beschrieben, dass man hier noch die ursprüngliche Industrie entdecken kann. Es ist nicht etwa ein Freilichtmuseum, hier wird noch mit denselben Geräten wie vor fünfzig Jahren gearbeitet. Wahnsinn. Nur für diesen Anblick haben sich die letzten Tage kämpfen gelohnt. Hier ist es wie im Film. Über die ganze Stadt führen etwa ein Dutzend Seilbahnen. Verrückt, wer sich da rein setzt. die Bahnen dienen nur zum Materialtransport. Sie schwanken und knarren. Die Seile wirken instabil und wenn die Bahn am Ende ankommt, scheppert es durch das ganze Tal. Chiatura ist eine Reise wert. Geschichtsunterricht in 3D. Apropos 3D. Haben wir schon mal erzählt dass es in der Türkei 11D Kinos gibt? Aber das ist eine andere Sache.
Es scheint, als wüssten bereits alle Bewohner, dass wir heute eintreffen. Nach einigem Durchfragen, finden wir am Ende der Stadt das Hotel. Der Hotelier steht bereits an der Tür und winkt uns herein. Der Preis ist der Uhrzeit angepasst. Das Zimmer übertrumpft das von gestern noch einmal gewaltig. Wieder dürfen wir die Betten selber beziehen. Mit Pingubezügen in der Qualität von Einwegtaschentüchern. Die Tapete hat Glitzerelemente. Die Toilette wurde noch nicht einmal gespült seit dem letzten Gast. Herrje. Alles verschimmelt. Bääääh. Die Duschtücher vom Vorgänger hängen auch noch an der Türe. Das haben wir zu spät gecheckt. Dachten, das sind frische für uns. Doppelbäh. Man lernt wirklich nie aus.
Wir haben Hunger. Im Hotel gibt es nichts zu essen, denn es ist gerade Stromausfall. So spazieren wir in die nächste Kneipe. Der Weg ist dunkel. Auch hier Stromausfall. Die Wahrung des EDA "Vermeiden sie nächtliche Überlandfahrten" ist wirklich berechtigt. In der Kneipe angekommen finden wir ein Plätzchen. Wiederum haben wir das Gefühl, dass wir erwartet wurden. Im Nebenzimmer wird gezockt, gejohlt und wahrscheinlich seit Stunden gesoffen. Die Georgier trinken gut und gerne, bleiben aber immer fröhlich und sehr angenehm. Wir bestellen uns was es gibt. Halbes Hühnchen mit Brot. Dazu eine Limonade. Das Essen und die Limonade sind fantastisch. Wirklich sehr, sehr gut. Wie alles Essen in Georgien. Einer der Spieler aus dem Nachbarzimmer schenkt uns seinen Resten Wein. Ein Liter ist es. Natürlich müssen wir anfangen zu trinken, wenn er zuschaut. Es brennt in der Kehle und wir lächeln.
Zum Glück haben wir uns für den Heimweg mit einer Taschenlampe bewaffnet. So können wir geschickt den Schlaglöchern und Mülltonnen auf dem Trottoir ausweichen.
In der Nacht zieht ein starkes Gewitter auf. Es regnet und regnet und regnet.